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Ihr Lieben,
das hier wird ein elendig langer Post, der sich mit nichts als mit mir selbst beschäftigt, und dient eher der eigenen Einordnung meiner Gefühle und Gedanken als irgendeinen Mehrwert für Außenstehende zu haben. Kein dramatischer Absturz, keine effekthascherischen kriminellen Geschichten, einfach nur ordinäre Erfahrungen mit Sucht, gefühlter Machtlosigkeit und Depression. "Schreib es in ein Tagebuch und lass uns mit dem Scheiß in Ruhe", mag manch einer entgegnen, und er oder sie hat vollkommen Recht. Aber weil ich ein narzisstisches Schwein bin, will ich aus meiner Selbstreflexion noch Kapital in Form von Internetanerkennung schlagen. Disclaimer Ende, los geht's.
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Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher aus und betätige den Druckmechanismus, die die Kippe unter blechernem Scheppern in den übelriechenden Auffangbehälter verschwinden lässt. Ich hasse diesen Moment, wenn es zu Ende ist. All die Versprechungen, die mir die Sucht macht, während ich die Zigarette drehe, scheinen auf einmal so offensichtlich falsch gewesen zu sein. Die Sucht zerrt an mir, gibt mir das Gefühl, dass etwas fehlt. Wenn ich der Sucht gebe, was sie verlangt, sollte ich doch eigentlich befriedigt sein. Als ich durch die Balkontür zurück ins Zimmer gehe und meine Spiegelung in der Fensterscheibe sehe, ist mein Gefühl alles andere als befriedigt. Ich bin schon wieder darauf reingefallen. Es gibt dieses Zitat, das jeder schon mal in einem schlecht gelayouteten Textbild auf Facebook gesehen hat; sinngemäß: die Definition von Wahnsinn ist es, jedes Mal das gleiche zu tun und ein unterschiedliches Ergebnis zu erwarten (laut Textbild von Albert Einstein). Jedes Mal, wenn die Sucht mich unruhig werden lässt, will ich mich kurz beruhigen mit der nächsten Zigarette. "Ich sollte eigentlich arbeiten, aber wenn ich jetzt so hibbelig bin, kriege ich eh nix hin. Nach der Zigarette wird es besser gehen." Nein, wird es nicht. Der denkende Teil von mir weiß das. Aber der denkende Teil von mir ist schwach.
Ich halte mich zu lange mit den Zigaretten auf, sowohl in diesem Post als auch im echten Leben. Eigentlich hatte ich mal aufgehört zu rauchen, und es lief ganz gut für ein paar Monate. Aber ich hatte noch dieses andere Laster, das meine Nikotinsucht immer weiter gefüttert hat und das das viel größere Problem darstellt: Kiffen. Teufelszeug. Die ersten jugendlichen Räusche; die scheinbar erweiterte Sinneswahrnehmung; die unkontrollierbaren Lachattacken; wie großartig jedes Essen schmeckt; kluge Ideen und kreative Gedanken, die sich im Rausch besonders klug und kreativ anfühlten, sich aber oft genug als peinlich platt herausstellten, sobald der Rauch verflogen war. Die Hochgefühle im Rausch wurden exponentiell weniger, je häufiger ich rauchte. Je häufiger ich rauchte, desto apathischer wurde ich gegenüber meinen nüchternen Gefühlen. Und weil Apathie noch schwerer zu ertragen ist als negative Gefühle, rauche ich mich seit weiß Gott wie lange schon jeden Tag in eine Depression. Meine Kifferbrudis und -brudinen werden es kennen, wie Gras die introspektive Wahrnehmung stärkt. Auch hier herrscht zwar noch die Apathie, aber Selbstzweifel und -vorwürfe können sich nur soundso lange anstauen, bis sie sich Gehör verschaffen. Nüchtern schaffe ich es besser, mich davon abzulenken - behaupte ich; aber kaum mehr als eine Woche grasfrei am Stück habe ich mir in den letzten Jahren zugetraut, bis ich wieder am Joint nuckle wie ein hungriges Kalb am Euter seiner Mutter. "Vielleicht reicht die Woche Pause ja, um den täglichen Trott abzuschütteln. Vielleicht fühlt es sich ja dieses Mal wieder so gut an, wie es sich früher mal angefühlt hat." Tut es nicht. Ich fühle mich schlecht, wieder nachgegeben zu haben. Immerhin schmeckt das Essen noch.
Heute habe ich nicht gekifft. Um 15 Uhr sollte das keine Erwähnung wert sein, aber gestern um die Zeit hätte ich das nicht behaupten können. Ich fühle noch den Nebel in meinem Kopf von den vier (!) Joints, die ich mir gestern genehmigt habe. Solche Tage sind leider keine Seltenheit. Mit jedem Ausdrücken im Aschenbecher denke ich schon daran, den nächsten zu bauen. Ich bin nie befriedigt. Ich weiß nichts mit mir anzufangen. Ich lenke mich ab, konsumiere eine erschreckende Menge an Pornografie. Ich bringe Stunden auf den einschlägigen Seiten zu, bis ich zu meinem traurigen Höhepunkt komme und wieder mit leeren, dafür jetzt verklebten Händen dastehe. Bevor ich mich sauber mache, schnell noch ein Youtube Video aufrufen, damit die negativen Gedanken über die verschwendeten Stunden ja nicht zu laut werden. Mit jeder weiteren Ablenkung hindere ich mich daran, die notwendigen Schritte zur ersehnten Besserung einzuleiten. Das wiederum nährt die Selbstvorwürfe, von denen ich mich weiter ablenke. Diese Dynamik ist so grausam offensichtlich und schaubildhaft, und doch schaffe ich es nicht ihr zu entfliehen.
Dieser fehlende Umgang mit meinen Defiziten hat mich zu dem gemacht, der ich bin: ein elterlich alimentierter, endzwanzigjähriger Langzeitstudent ohne Plan für die Zukunft, der sein Leben nicht auf die Reihe kriegt. Der sich einerseits nach finanzieller Unabhängigkeit sehnt, aber, sobald sein Nebenjob einen Monat lang mal mehr abwirft als sonst, das übrige Geld im Online-Casino aus dem Fenster schmeißt. "Wie geil wäre es denn, wenn ich da jetzt fett Gewinn machen würde?" Ja, wäre geil. Ist auch schon das ein oder andere Mal passiert. Dann habe ich aufgehört zu zocken, den Gewinn auszahlen lassen, und auf die Seite gelegt.
Hab ich natürlich nicht.
Ich schäme mich. Ich distanziere mich von meinen wenigen Freunden. Meine Eltern sind total liebevoll und unterstützen mich wo sie können. Wie enttäuscht sie wären, wenn sie wüssten, wie ich meine Zeit und ihr Geld verschwende... nicht, weil es ihr Geld ist, sondern weil ich so viel Potenzial habe, das ich nicht nutze. Weil ich mich aktiv unglücklich mache. Ich lebe ein privilegiertes Leben und trete es mit Füßen. Ich stehe mir selbst im Wege. Meine negativen Gedanken verhindern, dass ich produktiv werde. Die fehlende Produktivität fördert meine negativen Gedanken. Wieder dieser Teufelskreis. Die Diskrepanz zwischen meiner Erkenntnis, dass so vieles falsch läuft, und den kleinen Entscheidungen, die ich entgegen besseren Wissens täglich wieder treffe, spiegelt meine schwache Willenskraft und meine niedrige Selbstachtung wider.
Ich gehe zur Therapie, ungefähr einmal wöchentlich seit nunmehr über anderthalb Jahren. Ob es etwas bringt, bezweifle ich. Winzige Fortschritte in meinem Arbeitsethos für die Uni mögen erkennbar sein, wenn ich meine negative Brille mal abzusetzen versuche. Aber ob die nun durch die Therapie kommen oder durch einen inneren Reifeprozess, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls kann ich mich gegenüber der Therapeutin nicht völlig öffnen, was bestimmt notwendig wäre, um weiterzukommen. Stattdessen gehe ich Woche für Woche dorthin, beschäftige mich erst in der U-Bahn auf dem Weg zu ihr mit dem, was ich ihr gleich sagen werde. "Ich möchte gerne einen anderen Therapeuten suchen", möchte ich ihr eigentlich sagen. Aber ich traue mich nicht. Einerseits weil ich die irrationale Angst habe, sie könnte sich davon beleidigt fühlen. Andererseits weil ich fürchte, auch mit einem anderen Therapeuten zu scheitern.
Ich bin am Ende. Also vor allem mit diesem Post jetzt. Wenn ihr bis hierhin gelesen habt, wünsche ich euch einen guten Rutsch ins neue Jahrzehnt. Auf dass die Dinge für uns alle besser laufen werden! Ihr seid ein lustiger Haufen und ich hoffe ihr habt Verständnis für mein selbstbezogenes Wohlstandsgejammer.
Frieden.